Wicken Thies – das Orakel von Burgdorf

Im zehnten Teil der "Zeitreise" geht es um Wicken Thies - das Orakel von Burgdorf.

Der Namen des legendären Schusters und Orakels Wicken Thies leitet sich vom niederdeutschen Begriff „wicken“ für „wahrsagen“ und von der Kurzform „Thies“ des Vornamens Matthias ab. Sein wirklicher Nachname bleibt bis heute unbekannt. Er lebt in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts in Burgdorf und findet mit seinen Prophezeiungen einen bis heute anhaltenden Nachhall. Nicht zuletzt trägt dazu die am 8. Juni 1991 eingeweihte Bronzeplastik des Bildhauers Dieter Läpple bei, die am Brunnen im Zentrum des Spittaplatzes zu finden ist. Durch sie bleibt die Erinnerung an das weit über Burgdorfs Grenzen hinaus bekannte, mythenumrankte Orakel von Burgdorf dauerhaft erhalten.

Nächtliche Visionen

Ob es eine Laune des Schicksals ist, dass viele seiner Prophezeiungen Wirklichkeit werden, oder auf einer realen Sehergabe beruhen, sei der Phantasie der Leser überlassen. Seiner eigenen Aussage nach, kommen ihm die Eingebungen in schlaflosen Nächten, wenn er einsam durch die nur noch vom fahlen Mondlicht erhellten Gassen der Auestadt streift und sich eine Ahnung zukünftiger Ereignisse vor seinem inneren Auge abzuzeichnen beginnt. Staunend lauschen dann am nächsten Morgen die Zuhörer seinen Erzählungen von kommenden unheilvollen Geschehnissen.

Prophezeiungen werden wahr

So erzählt er eines Tages, dass ihm eine Vision erschienen sei, in der die große Glocke des Kirchturms entzweibricht und der Klöppel herabstürzt. Die Folge dieses bösen Omens würde ein schrecklicher Krieg sein. Als bei zwei Zwischenfällen im Jahr 1908 die Kirchturmglocke geborsten ist und sich am 7. Februar 1909 der Klöppel der großen Glocke löst und auf den Boden des Glockenstuhles fällt, erinnert das Burgdorfer Kreisblatt an diese Prophezeiung und verbindet die Meldung mit der Hoffnung, dass der von Wicken Thies vorhergesagte Krieg nicht eintreffen würde. Doch das Verhängnis bestimmt es anders. Fünf Jahre später kommt es zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges.

Seit dem 18. Jahrhundert schriftlich fixiert

Die zunächst mündlich überlieferten Prophezeiungen von Wicken Thies werden im 18. Jahrhundert aufgezeichnet und als Flugblätter auf Jahrmärkten verbreitet. Im Burgdorfer Stadtarchiv ist neben anderen Dokumenten ein aus dem Jahr 1757 stammendes Protokoll aus der Feder des damaligen Burgdorfer Drostes von Alvensleben und seines Amtmannes Heinsius erhalten, in dem Wicken Thies´ Weissagungen mit akribischer Genauigkeit festgehalten sind. Selbst in Hamburg finden sie interessierte Leser, als dort 1866 die Broschüre erscheint: „Extract aus dem Archiv zu Burgdorf, welches von einem Manne, Namens Thies wahrsagt und theils schon wirklich eingetroffen ist“. Darin sind auch solche Kuriositäten zu lesen, dass Wicken Thies vorausgesehen habe, das sich ganze Dorf Dachtmissen rot färben werde, was später auch eingetreten sei, als alle Häuser rote Ziegelsteine erhaten. Auch habe sich bewahrheitet, dass eine zweiköpfige Kuh in Burgdorf zur Welt kommen würde. Gottlieb Müller stellt in seinen „Bildern zur Geschichte der Stadt Burgdorf und ihrer Umgebung“ im Jahr 1872 bedauernd fest, dass es unter der Landbevölkerung immer noch viele Menschen gibt, die den von ihm als „Unsinn“ bezeichneten Prophezeiungen des Wicken Thies Glauben schenken und sie für bare Münze nehmen.

Wicken Thies-Erlebnisführungen

Zu den genauen Lebensumständen des Wicken Thies liegen keine gesicherten Erkenntnisse aus verlässlichen Archivquellen vor. Geburts- und Sterbedatum sind unbekannt. Wie ein Autor namens Schneider 1827 bei seinen später im „Neuen Vaterländischen Archiv“ veröffentlichten Recherchen feststellt, liegt das daran, dass die Kirchenregister Burgdorfs nur bis zum Jahr 1730 zurückreichen.

An Wicken Thies erinnern auch die gleichnamigen Erlebnisführungen des Vereins Stadtmarketing Burgdorf, deren Premiere am 25. August 2005 auf eine große Resonanz stößt. Dabei verkörpert der Schauspieler Andreas Jäger den Wahrsager und verrät Geschichten von dessen geheimnisumwitterten Prophezeiungen.